Die Siedlung Bedaium
Im Zuge der Eroberung des Alpenraumes und seines nördlich vorgelagerten Gebietes 15 v. Chr. durch Drusus und Tiberius rückt auch der Chiemgau in den Blickwinkel der von Rom geprägten Überlieferung. Das unabhängige, keltische Königreich Noricum, in dessen Einflussbereich unser Gebiet bis dahin lag, hörte auf zu existieren. Allerdings milderten die schon lange bestehenden freundschaftlichen Beziehungen zum Römischen Reich, die sich nicht zuletzt auf intensivem wirtschaftlichen Austausch gründeten, den Sturm der römischen Eroberungskriege: Noricum, also das Gebiet östlich des Inns, wurde friedlich dem Römischen Reich einverleibt.
Die ersten Belege einer römischen Besiedlung stammen aus der Mitte des I.Jh.n.Chr. Aus ihnen geht hervor, dass Kaiser Claudius den zivilen Ausbau und die Kolonisation des Landes nördlich der Alpen einleitete. Im Zentrum der Erschließung stand der beschleunigte Ausbau der bestehenden Handelswege und die Kolonisierung durch den Bau von Gutshöfen als Versorgungseinrichtungen. Das war eine neue Siedlungsform, für die Vergleichbares in der Spätlatenezeit (ca. 200 v. Chr.) offenbar nicht existierte. Die aus militärischen Notwendigkeiten neu entstandenen Fernstraßen -die Römer machten die Ostwest-Route zur vorherrschenden Verkehrsachse - ermöglichten weitgespannte Handelsbeziehungen und bildeten die infrastrukturellen Schlagadern für die Romanisierung der gesamten Provinz.
In diese Zeit, in der Noricum offiziell als römische Provinz ausgewiesen wurde, fällt auch die Gründung des Römerortes Bedaium. Durch seine Lage am Fluss und am See wuchs dem Ort schnell die Rolle eines wichtigen Brückenplatzes zu. Hier überquerte die römische Staatsstraße die Alz. Die via publica führte von Augsburg (Augusta Vindelicum) nach Salzburg (Juvavum), weiter auf den Balkan und in den Orient. Die Straße, die etwa auf Höhe der heutigen Römerstraße den Ort durchquerte, wurde zur Lebensader der Siedlung, deren Geschichte untrennbar mit der der Fernstraße verbunden ist.
Die Bewohner, meist Handwerker, Fischer, Händler, römische Beamte und Polizeiposten, übernahmen die Aufgabe der Bewachung und des Unterhalts von Straße und Brücke. Sie betrieben die Wechselstationen für Reit- und Zugtiere, die Reparaturwerkstätten für Wagen und Pferdegeschirr und sie versorgten die durchziehenden Gütertransporte, Soldaten und Kuriere mit Speisen und Nachtquartier. Mit ihren Dienstleistungen trugen sie wesentlich zu Mobilität und Schlagkraft des Heeres, zum reibungslosen Funktionieren des staatlichen Transport- und Kuriersystems, zur Wirksamkeit der Verwaltung und nicht zuletzt zum Florieren von Handel und Wirtschaft bei.
Dank seiner günstigen Verkehrslage erlebte der Ort einen rasanten wirtschaftlichen Aufschwung und wurde zum Mittelpunkt für die im Hinterland liegenden römischen Landgüter und Gutshöfe, sogenannte villae rusticae, die den hiesigen Markt mit ihren landwirtschaftlichen Erzeugnissen belieferten.
Der Kern der römischen Siedlung liegt im Winkel von Alz und Seeufer, also im näheren Umfeld des Flussübergangs, dort wo auch am heutigen Kirchberg das spätantike Kastell errichtet wurde. Dieser Platz erlaubte einen guten Überblick auf den See und den Fluss. Von hier weitete sich der Ort nach beiden Seiten aus: Nach Osten, über die Brücke hinweg zum römischen Friedhof, am heutigen Ortsende Richtung Traunstein gelegen und nach Westen, ebenfalls bis zum derzeitigen Ortsrand. Die dort aufgedeckten Baubefunde lassen auf gewerbliche Anlagen schließen. Da ist ein Werkplatz mit Bootslände, daneben anschließend eine Darre, ein Gebäude zum Trocknen von Getreide, aber auch zum Räuchern von Fisch und Fleisch und weiter eine Reihe von Bauwerken, die ebenfalls mit Handel und Gewerbe im Zusammenhang standen. Möglicherweise stand dort auch das Heiligtum des Jupiter-Bedaius, einer lokalen Fluss- und Wassergottheit, dessen Verehrung die Römer von den Kelten übernahmen. Sein keltischer Name war Bid.
Nach den Markomanneneinfällen in der zweiten Hälfte des 2.Jh.n. Chr. eifolgte zu Beginn des 3.Jahrhunderts unter dem severischen Kaiserhaus noch einmal ein wirtschaftlicher Aufschwung, dem durch die kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Alamannen allerdings ein endgültiges Ende gesetzt wurde. Danach reduzierte sich die Besiedlung auf den näheren Bereich des spätrömischen Kastells, von dem aus nach wie vor der wichtige Übergang der römischen Fernstraße über die Brücke kontrolliert wurde. Gegen Ende des 4.Jahrhunderts wurde Bedaium endgültig aufgegeben.
Auszug aus dem Flyer Archäologischer Rundweg Station 2 Das Römisch-Norische Gräberfeld Seebruck am Chiemsee
Text Dr. Alfons Regnauer, Seebruck